Um eines vorwegzunehmen: Dass gendergerechte Schreibweisen gut und wichtig sind, setze ich in diesem Artikel voraus. Wer am generischen Maskulinum festhalten möchte wird mit den folgenden Erläuterungen nicht glücklich werden. Tja.
Nichtsdestotrotz, gendergerechte Schreibweisen können oft herausfordernd sein. Das liegt aber eben nicht daran, dass sie gegen die natürliche Ordnung der Dinge verstoßen. Wir sind einfach noch nicht an sie gewöhnt. Wir müssen sie lernen, wir müssen ihre Vorzüge und Nachteile kennen.
Eine besondere Schwierigkeit stellt dabei die Barrierefreiheit dar. Wer sowohl gendergerecht als auch barrierefrei schreiben möchte gerät immer wieder in Schwierigkeiten. Häufig kollidieren die Ansprüche: Gendergerechte Sprache stellt ein Problem für die Barrierefreiheit dar; und je barrierefreier ein Text formuliert ist, desto eher leidet die Gendergerechtigkeit. Die folgende Liste soll Abhilfe verschaffen. Ich gebe dir einen Überblick über fünf Varianten gendergerechter Schreibweisen, und darüber welche Vor- und Nachteile Sie haben. Ein besonderes Augenmerk liegt auf Barrierefreiheit. Hoffentlich kann ich so dabei helfen, die Ansprüche zu vereinen, für alle Geschlechter und für möglichst viele Menschen mit Beeinträchtigungen zu schreiben.
1. Schülerinnen und Schüler – die Doppelform
Die Doppelform ist eine der geläufigsten Varianten. Vor allem in Behördentexten erfreut sie sich großer Beliebtheit. Das liegt auch daran, dass die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Variante recht groß ist. Sprachpurist:innen ziehen sicherlich dennoch das generische Maskulinum vor. Aber immerhin kommt die Doppelform ohne Sonderzeichen aus und darum ist sie ein nicht ganz so dunkles Omen für den Untergang der deutschen Sprache. Zumindest vermute ich, dass das sprachpuristische Argument so oder so ähnlich lautet.
Tatsächlich ist die Doppelform leicht verständlich und somit eine verhältnismäßig barrierefreie Variante. Einzig, dass sie im Vergleich zum generischen Maskulinum dreimal so viele Wörter hat, kann eine Barriere darstellen. Schließlich sollen Sätze so kurz wie möglich sein.
Das große Manko dieser Variante ist natürlich, dass sie Geschlechteridentitäten ausschließt, die weder männlich noch weiblich sind, also solche, die unter die Bezeichnung „divers“ fallen.
2. SchülerInnen – das Binnen-I
Die Variante mit dem Binnen-I in der Mitte war vor wenigen Jahren noch sehr weit verbreitet. Heute wirkt sie fast schon antiquiert. Das hat wahrscheinlich mehrere Gründe.
Erstens ist das Binnen-I ein echtes Problem für die Barrierefreiheit. Das große i ist in vielen Schriftarten kaum von einem kleinen L zu unterscheiden.
Zweitens sind Binnenmajuskel nicht in den Regeln der Rechtschreibung vorgesehen. Vermutlich ist die gesellschaftliche Akzeptanz also eher gering – und zwar nicht nur unter Sprachpurist:innen, sondern auch unter Menschen, die schlicht wenig Kontakt mit gegenderten Schreibweisen haben.
Drittens schließt die Variante mit der Binnenmajuskel auch „divers“ aus.
3. Schüler_innen – der Unterstrich
Diese Variante war für kurze Zeit recht populär und ist inzwischen eher selten geworden. Sie hat den Vorteil, dass sie Menschen miteinschließt, die sich weder als männlich noch als weiblich identifizieren. Ein spezifischer Kritikpunkt an dieser Form der Darstellung ist, dass der Unterstrich als Symbol für „divers“ diese Menschen bildlich an den unteren Rand abdrängt. Ich persönlich habe immer die Lücke, nicht den Strich, als Symbol für „divers“ empfunden.
In jedem Fall ist diese Variante wegen des Sonderzeichens nicht sehr barrierefrei. Dabei sind Sonderzeichen nicht notwendigerweise Barrieren. Wenn sie häufig genug verwendet werden, wenn sie also bekannt genug sind, stellen sie kaum ein Hindernis dar. Da aber die Variante mit dem Unterstrich inzwischen sehr selten geworden ist, stellt sie durchaus ein Problem für die Barrierefreiheit dar.
Der Unterstrich erfährt vermutlich eher wenig gesellschaftliche Akzeptanz. Er ist nämlich nicht nur ein Verstoß gegen gültige Regeln der Rechtschreibung, sondern auch noch ein Sonderzeichen. Mehr noch, er ist ein sehr breites Sonderzeichen, fällt im Schriftbild also besonders auf. Aus politischer Sicht, also als Hervorhebung von gesellschaftlichen Missständen, kann das durchaus gewünscht sein. In einem Lokalzeitungsartikel über einen Anbau an der Grundschule ist seine Breite vielleicht eher störend.
4. Schüler*innen – das Sternchen
Die Variante mit dem Sternchen ist heute sehr verbreitetet. Wie der Unterstrich schließt es also alle Geschlechteridentitäten mit ein. Seine Strahlen, die in alle Richtungen zeigen, verweisen auf die Diversität der Geschlechteridentitäten, auch jenseits der Pole weiblich und männlich.
Doch wie der Unterstrich ist auch das Sternchen ein Sonderzeichen. Als solches kann es ein Hindernis für die Barrierefreiheit sein. Das Sternchen wird aber viel häufiger genutzt als der Unterstrich. Weil es also viel bekannter ist, kann man in vielen Fällen durchaus davon ausgehen, dass es dennoch verständlich ist.
Das Sternchen ist dem Unterstrich außerdem ähnlich, weil es durch seine Größe und Position in der Zeile verhältnismäßig viel Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das kann wünschenswert sein, aber, wie unter Punkt 3 beschrieben, auch das Schriftbild stören.
5. Schüler:innen – der Doppelpunkt
Die Variante mit dem Doppelpunkt ist wohl aktuell die häufigste. Wie der Unterstrich und das Sternchen schließt auch der Doppelpunkt alle Geschlechteridentitäten mit ein. Doch anders als Unterstrich und Sternchen fügt sich der Doppelpunkt ziemlich nahtlos in das Schriftbild ein. Von allen Varianten, die „divers“ berücksichtigen, hat er deswegen vielleicht die besten Chancen auf breite gesellschaftliche Akzeptanz.
Was sie Barrierefreiheit angeht liegt aber genau in dieser Nahtlosigkeit eine Schwäche. Für Menschen mit Sehschwierigkeiten oder bei sehr kleinen Schriftarten ist der Doppelpunkt mitunter schwer von einem i zu unterscheiden. Hinzukommt, dass er für Menschen, die auf Screenreader angewiesen sind, ein Problem darstellen kann. Dabei begegne ich immer wieder dem Argument, dass Screenreader den Doppelpunkt nicht wie Sonderzeichen mitlesen, sondern dort eine Pause machen. Diese Pause sei ähnlich der kurzen Pause, die beim Sprechen des Sternchens oder des Unterstrichs gemacht wird. Das ist aber erstens nicht ganz richtig, denn unterschiedliche Screenreader lesen unterschiedliche Zeichen unterschiedlich vor, und können darüber hinaus auch noch unterschiedlich eingestellt werden. Und zweitens kann gerade der Umstand, dass der Doppelpunkt kein Sonderzeichen ist, sondern ein Interpunktionszeichen, problematisch sein. Schließlich hat er ja einen Zweck und soll unter Umständen genau deswegen mitgelesen werden.
Davon abgesehen ist der Doppelpunkt für die Barrierefreiheit wohl mit dem Sternchen vergleichbar. Er ist nicht aus sich selbst heraus verständlich, aber dank seiner großen Verbreitung ist er in vielen Kontexten dennoch akzeptabel.
Anhang zu den Punkten 3., 4. und 5.
Für die Varianten mit Unterstrich, Sternchen und Doppelpunkt gilt natürlich, dass es umso komplizierter wird, sie umzusetzen, je mehr Wörter an das Geschlecht angeglichen werden:
- Abschließend berarbeitet der:die Lektor:in den Text.
- Die abschließende Bearbeitung erfolgt durch den:die professionelle:n Lektor:in.
In solchen Fällen ist die beste Lösung wohl, eine Formulierung zu suchen, mit der man das Problem umschifft.
- Abschließend erfolgt ein professionelles Lektorat.
Nochmal komplizierter wird es, wenn der Wortstamm sich in den unterschiedlichen Formen unterscheidet. Schreibt man Bauer:in oder Bäuer:in? Auch hier ist es ratsam, andere Begriffe zu wählen, die das Problem elegant umgehen. In diesem Fall bietet sich Landwirt:in an.
Und dann gibt es noch Begriff, die zwar auf Personen angewendet werden können, aber auch auf abstrakte Einheiten wie Organisationen oder Institutionen.
- Unproblematisch: Die Kund:innen des Baumarkts finden kein Personal.
- Problematisch: Ich pflege einen kollegialen Kontakt zu meinen Firmenkunden / Firmenkund:innen.
Ich persönlich verzichte in diesen Fällen meist auf gendergerechte Schreibweisen. Etwas unwohl ist mir dabei aber immer, denn stattdessen einfach die männlich Form zu wählen, impliziert, dass Männlichkeit normal ist und Weiblichkeit die Abweichung von der Normalität.
Fazit
Die richtige Variante gibt es nicht, denn jede Lösung hat Vor- und Nachteile (außer das Binnen-I, das kann ruhig aussterben). Vielleicht ändert sich das mit der Zeit. Wenn sich eine der Schreibweisen, die „divers“ einschließen, weit genug verbreitet und alltäglich genug wird, ist sie vielleicht irgendwann kein Problem für die Barrierefreiheit mehr.
Was können wir bis dahin tun?
Wenn möglich, sollten wir geschlechtsneutrale Begriffe verwenden. Studierende statt Studenten, Lehrkräfte statt Lehrerinnen und Lehrer, Team statt Mitarbeiter:innen. Wenn das nicht möglich ist, sollten wir wissen, für wen wir schreiben. Oft ergibt sich die beste Lösung aus dem Kontext und dem Publikum. Und davon abgesehen: am Ball bleiben. Sowohl gendergerechte als auch barrierefreie Sprache werden aktuell sehr intensiv diskutiert – ich denke, dass wir gemeinsam bald eine Lösung finden, beides bequem unter einen Hut zu bekommen.